Reisen mit kleinen Kindern – unsere drei Wochen durch den Südwesten Irlands
Ein bisschen aussteigen. Eine Elternzeitreise, auf der wir Verpflichtungen und Alltagsstress entfliehen und einfach in den Tag hineinleben, viel in der Natur sind und unsere Kinder genießen. Die Idee hat sich festgesetzt, langsam und hartnäckig in den langen Pandemiejahren, in den dunklen Wintern, in denen ein Kitainfekt den nächsten jagte und wir das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr sehen konnten.
So richtig glaube ich es selbst nicht, dass wir das wirklich machen, als wir uns an einem Abend Mitte Mai ins Auto setzen und losfahren. Bis zuletzt war ich überzeugt, wir würden genau vorher Corona bekommen und müssten alles absagen. Aber jetzt sitzen wir im Auto und rollen Richtung Frankreich. Wir Eltern von den Urlaubsvorbereitungen erschöpft und angespannt, denn es liegen 8 Stunden Fahrt durch Frankreich vor uns, bevor wir die Fähre in Cherbourg erreichen, die uns nach Irland bringt. Die Kinder gutgelaunt, denn Urlaub heißt ungeahnte Freiheiten. Haufenweise Snacks, Pausen bei McDonalds, sogar ein Tablet mit vielen Stunden Kinderserien und -liedern ist diesmal mit an Bord. Der Große ist 6, der Kleine erst 19 Monate alt. Ich muss wahnsinnig sein. Diese Reise ist ganz allein auf meinen Mist gewachsen. Mein Mann zieht nur mit, weil sie mir so wichtig ist und weil er aus Erfahrung weiß, dass ich sowieso meinen Kopf durchsetze.
Irgendwann schlafen die Kinder tatsächlich ein und wir erreichen ohne Zwischenfall unsere Übernachtung in Frankreich. Der Start war besser als erwartet. Dafür haben es die nächsten Tage in sich. Eine lange Fahrt mit vielen Pausen, drei Stunden warten auf die Fähre mit müden Kindern und dann werde ich kurz nach ablegen auch noch richtig schlimm seekrank. Mitten in der Nacht werfe ich zitternd eine Vomex Tablette nach der nächsten ein und versuche, den Kleinen nicht zu wecken, mit dem ich mir das schmale Kabinenbett teile.
17 Stunden später stehen wir auf irischem Boden in Rosslare und weitere zwei Stunden Autofahrt später schließe ich meine Gastmutter M. in die Arme, bei der ich vor 20 Jahren ein Schuljahr lang gelebt habe. Hier bei ihr in der Nähe von Ardmore, Co. Waterford startet unser Urlaub und ich fühle mich gar nicht mehr so wahnsinnig. Ich fühle mich angekommen in einem Land und bei Menschen, die immer noch irgendwie Heimat sind, obwohl ich seit 20 Jahren nicht hier war.
Unser Urlaubsplan für die nächsten drei Wochen ist bestechend einfach: es gibt keinen. Wir wollen an den Strand und in die Natur und in den Tag hineinleben. Mit zwei kleinen Kindern Sightseeing, Shopping oder große Touren zu planen scheint uns von vornherein zum scheitern verurteilt. So verbringen wir die nächsten Tage damit, alle Strände in der Umgebung zu besuchen, Steine ins Meer zu werfen und nasse Kinder umzuziehen.
Pünktlich am ersten Urlaubswochenende und wenige Wochen nach dem letzten Infekt wird der Kleine wieder krank. Fieber, Krupphusten, schlaflose Nächte und die Eckzähne wollen jetzt auch noch raus. Unpraktisch an einem Sonntag im Ausland. Um 2 Uhr nachts rufe ich nervös die Hotline der Krankenkasse an und schildere den umfangreichen Inhalt unserer Urlaubsapotheke (ich habe einfach alles mitgenommen, was wir jemals für die Kinder verschrieben bekommen haben). Der Arzt am anderen Ende der Leitung ist entspannt und erkennt nach meiner Aufzählung, dass wir scheinbar schon reichlich Erfahrung mit solchen Infekten sammeln mussten. Der Kleine inhaliert und das Fieber ebbt nach einigen Stunden ab. Ich erwarte mindestens noch eine Autopanne und ein gebrochenes Bein in diesem Urlaub.
Stattdessen kommen wir alle langsam, aber sicher in unserem neuen Alltag an. Frühstücken gemütlich und gehen zum Spielplatz. Genießen die Pause, wenn der Kleine Mittagsschlaf macht und fahren danach zum Strand. Ich sitze stundenlang quatschend am Küchentisch mit M., wir haben 20 Jahre nachzuholen.
Mein Mann stellt resigniert fest, dass drei von vier Familienmitgliedern gern schöne Steine sammeln und verabschiedet sich von der Vorstellung, dass wir mit weniger Gewicht nach Hause fahren als wir hergekommen sind.
Nach einigen Tagen ziehen wir weiter in ein Air BnB in Rosscarbery, West Cork. Da wir dort keine Küche haben ernähren wir uns hauptsächlich von Cornflakes (die Kinder) und Fish & Chips (wir Eltern). An Regentagen schlendern wir durch Clonakilty und besichtigen Steinkreise. Da im Mai kaum Touristen in West Cork sind ist es überall leer und wir müssen nichts vorab reservieren.
Mühelos schleichen sich der südirische Akzent und ein paar lokale Worte und Redewendungen wieder in mein Englisch. Nicht ganz so mühelos kommt mein Kopf zur Ruhe, aber nach und nach pustet die frische irische Meeresluft die mentale To Do Liste davon, die mich sonst durch den Alltag hetzt. Hier in West Cork verbringen wir einen besonderen Nachmittag am Strand. Die Bluebells blühen in den Dünen, das Meer glitzert und funkelt in der Sonne. Die Kinder spielen stundenlang ausgelassen kreischend fangen mit den Wellen. Ich sitze im Windschatten und atme und frage mich, wann ich zuletzt so wunschlos glücklich war mit meinem Leben. Abseits des Alltagsstresses und Termindrucks, abseits ermüdender Routinen und immer gleicher Spielplätze erwache ich wieder zum Leben und beginne, meine Kinder richtig zu genießen.
Auf Empfehlung unserer Gastgeber fahren wir am nächsten Tag ins Hafenstädtchen Baltimore und nehmen dort die Fähre nach Sherkin Island. Auf der Insel essen wir grandios gut und günstig in einem kleinen Café an einem Zeltplatz mit Blick aufs Meer. Den Rest unseres Tages auf Sherkin verbringen wir am menschenleeren Silver Strand. Der Besuch der friedlichen kleinen Insel mit den blühenden Blumenfeldern und dem türkisblauen Meer wird uns als eins der Highlights unserer Reise in Erinnerung bleiben.
Nach fast einer Woche in Rosscarbery geht es weiter nach Bantry. Im neuen Apartment haben wir von allen Fenstern einen unverstellten Blick auf die Berge der Mealagh Valley und ich stehe oft da und beobachte einfach nur das Sonne-Wolken-Spiel auf den grünen Hügeln. Bantry House können wir uns trotz der Aversion gegen das übliche Urlaubssightseeing nicht entgehen lassen. Ich werfe einen flüchtigen Blick in die unglaublich schönen alten Räume, während der Kleine verzweifelt und zunehmend rabiat versucht, sich aus meinen Armen zu befreien, um all das anzufassen, was man hier drinnen nicht anfassen darf.
Im Garten finden die Jungs den ersten Sandkasten seit Urlaubsbeginn und verbringen die nächsten zwei Stunden glücklich und im Spiel versunken mit den dort liegenden Plastiktreckern. Das Leben kann so einfach sein, denke ich.
Es sind die kleinen und kostenlosen Momente, die uns am glücklichsten machen. Die kurze Wanderung im Glengarriff Nature Reserve an einem Fluss mit Wasserfall, wo wir viele Steine ins Wasser werfen. Die Rotkehlchen, die auf Garinish Island aus unserer Hand fressen. Der lange Nachmittag am Ballyrisode Beach, wo wir durch glasklares, flaches Wasser tapsen. Die viel zu hohen Felsen, die der Kleine überall erklimmt, um dann stolz „Oben!“ zu verkünden.
Mich überrascht, wie mühelos unser Alltag hier ist. Die Jungs stören sich nicht an der fremden Sprache, den unterschiedlichen Unterkünften, Betten und Menschen, die wir ihnen in rascher Aufeinanderfolge zumuten. Hauptsache, Mama und Papa sind da. Wir sind 24 Stunden am Tag zusammen, aber ohne Zeitplan und Termine bleibt genug Luft für jeden, seinen Interessen nachzugehen. Natürlich gibt es auch Streit und den ein oder anderen Wutanfall, aber die Kinder haben trotz des Altersunterschiedes viel Spaß am gemeinsamen Spiel und der Kleine macht rasant sprachliche Fortschritte. Wir runden den Urlaub mit weiteren vier Tagen bei meiner Gastmutter M. ab und die Jungs beginnen, erste englische Worte zu sprechen. Wir wollen uns nicht trennen und versprechen, bald wiederzukommen. Jetzt bleibt schließlich nicht nur ein Teil meines Herzens in Irland, auch die Jungs haben emotionale Wurzeln geschlagen.
Am letzten Tag schlendern wir durch Wexford und warten am Strand in Rosslare auf unsere Fähre. Ich nehme drei Stunden vor Abfahrt die erste Vomex und die Rückreise verläuft besser als die Hinfahrt. Der Kleine schläft kurz vor Ankunft der Fähre ein, wacht irgendwann im Auto wieder auf, schläft wieder ein und wacht erst am nächsten Morgen in einem fremden Bett in Frankreich wieder auf. Jetzt schon ein alter Reisehase, stellt er nur schnell sicher, dass Mama neben ihm liegt und fordert dann gelassen sein Frühstück ein. Nach 48 Stunden Rückreise sind wir wieder zu Hause und werden begeistert von unserem alten Kater begrüßt. Ich beginne, Wäsche zu waschen, 2000 Bilder zu sichten und schon einmal den nächsten Irlandurlaub zu planen. Was wohl die allerkürzeste Fährverbindung ist, die ich finden kann?